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Rückforderung von Bezügen: Bruttobeträge

Bundesverfassungsgericht:
Beschluss vom 11.10.1977, 2 BvR 407/76 (NJW 1978, 533 = ZBR 1978, 94)

IV. Die Frage, ob es mit einer Vorschrift des Grundgesetzes unvereinbar ist, von dem Beamten die Rückzahlung der überzahlten Bruttoversorgungsbezüge zu fordern, haben vier Richter verneint und vier Richter bejaht; ein Verstoß gegen das Grundgesetz kann danach insoweit nicht festgestellt werden (§ 15 II 4 BVerfGG).

1. Nach der die Entscheidung insoweit tragenden Auffassung sprechen gegen die Annahme einer Verletzung des Grundgesetzes folgende Erwägungen:


a) Das BVerwG hat in seinem Urteil vom 22.09.66 (BVerwGE 25, 97 [99f.]) im Anschluss an sein Urteil vom 12.05.66 (BVerwGE 24, 92 [104f.]) entschieden, dass zuviel gezahlte Dienst- oder Versorgungsbezüge von dem nach den Vorschriften über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung zur Rückzahlung verpflichteten Empfänger grundsätzlich in Höhe der Bruttobezüge zurückgefordert werden dürfen. Nach diesen Entscheidungen stellt sich die Rechtslage nach einfachem Beamten- und Steuerrecht im einzelnen wie folgt dar:
Den - weggefallenen - Rechtsgrund für die Zahlung der Bezüge bildet die gesetzlich geregelte Zahlungsverpflichtung des Staates in Verbindung mit der Festsetzung der Bezüge durch feststellenden Verwaltungsakt.

Danach schuldet der Staat dem Beamten die Bezüge in Höhe des Bruttobetrages. Was die Besoldungs- und Versorgungsbehörde an Lohnsteuer einbehält und an das Finanzamt abführt, berührt den Leistungsanspruch des Beamten nicht. Die durch gesetzliche Regelung gebotene Einbehaltung und Abführung der Lohnsteuer erfolgt "für Rechnung" des Beamten; dieser ist Steuerschuldner, während die zuständige Behörde nur für die Einbehaltung und Abführung haftet. Auch die als Lohnsteuer einbehaltenen und abgeführten Beträge werden demnach als Teil der dem Beamten zustehenden Bezüge gezahlt. Nach Wegfall des Rechtsgrundes für diese Zahlung hat deshalb die Besoldungs- und Versorgungsbehörde einen Bereicherungsanspruch gegen den Beamten, dessen Vermögen durch die rechtsgrundlos gewordene Zahlung der Bruttobezüge sich auf Kosten der Behörde vermehrt hat. Dabei kann nach Ansicht des BVerwG auf sich beruhen, ob dem Beamten nicht nur die Nettobezüge, sondern die Bruttobezüge unmittelbar zufließen oder ob es sich - wozu das BVerwG neigt - hinsichtlich der Differenz zwischen beiden Betragen um eine "mittelbare Zuwendung durch Leistung an einen Dritten" handelt. Im Falle eines unmittelbaren Zuflusses versteht sich die Verpflichtung des Beamten zur Herausgabe der Differenz von selbst. Nimmt man hingegen eine "mittelbare Zuwendung" an, so liegt die Bereicherung des Beamten (unter anderem) darin, dass er neben dem Nettobetrag eine Befreiung von seiner Steuerschuld erlangt hat, auf die der nachträgliche Wegfall des Rechtsgrundes für die Zahlung der Dienst- oder Versorgungsbezüge - wie das BVerwG meint - keinen Einfluss hat; die Einbehaltung und Abführung der Lohnsteuer durch die zuständige Stelle ist also nicht rechtsgrundlos geworden. Der Besoldungs- und Versorgungsbehörde steht deshalb bezüglich der Differenz zwischen den Netto- und den Bruttobezügen ein Rückzahlungsanspruch ausschließlich gegen den Beamten, nicht aber gegen die Finanzverwaltung zu.

b) Diese auch für die Entscheidung des vorliegenden Falles im Ausgangsverfahren maßgebend gewesenen Erwägungen begegnen keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Sie verletzen ersichtlich weder das Willkürverbot, noch lassen sie einen Verstoß gegen das Rechtsstaatsprinzip erkennen, zumal sich, wie das BVerwG festgestellt hat, die Herausgabeschuld des Beamten verringert, wenn er trotz Rückzahlung des Bruttobetrages der zuviel gezahlten Bezüge bei der Finanzbehörde keinen vollen Ausgleich der einbehaltenen Lohnsteuer erreichen kann (BVerwGE 25, 97 [103]). Es gibt auch keinen hergebrachten Grundsatz des Berufsbeamtentums (Art. 33 V GG), der den Staat hindern könnte, zuviel gezahlte Dienst- oder Versorgungs­bezüge in Höhe des Bruttobetrages vom Empfänger zurück zu fordern. Ein solches Verbot lässt sich nicht aus der allgemeinen Pflicht des Staates zur Fürsorge für seine Beamten herleiten. Die beamtenrechtliche Fürsorgepflicht des Staates wird nach Art. 33 V GG lediglich insoweit in den Rang einer Verfassungspflicht erhoben, als sie Bestandteil eines hergebrachten und zu beachtenden Grundsatzes im Sinne der genannten Verfassungsnorm ist. Denn Art. 33 V GG schützt nur jenen Kernbestand von Strukturprinzipien der Institution des Berufsbeamtentums, die allgemein oder doch überwiegend und während eines, längeren, Tradition bildenden Zeitraums, mindestens unter der Reichsverfassung von Weimar, als verbindlich anerkannt und gewahrt worden sind (BVerfGE 8, 332 [343] = NJW 1959, 189; BVerfGE 15, 167 [195f.] = NJW 1963, 1196 [L]). Der Staat wäre deshalb unter dem Gesichtspunkt einer Verletzung seiner verfassungsrechtlichen Fürsorgepflicht gegenüber seinen Beamten nur dann gehindert, überzahlte Dienst- oder Versorgungsbezüge in Höhe des Bruttobetrages zurückzuverlangen, wenn ein solches Verbot bereits vor dem Inkrafttreten des Grundgesetzes wesentlicher Bestandteil des Beamtenrechts, insbesondere Gegenstand früherer gesetzlicher Regelungen, gewesen wäre. Das lässt sich indessen nicht feststellen.

2. Die vier Richter, die die Rückforderung des Bruttobetrages der zuviel gezahlten Versorgungsbezüge für unvereinbar mit der Fürsorgepflicht des Dienstherrn (Art. 33 V GG) halten (vgl. dazu BVerfGE 43, 154 [166-,170] = NJW 1977, 1189), begründen ihre Auffassung wie folgt:

a) Dem Beamten, von dem die Rückzahlung des Bruttobetrages gefordert wird, erwächst zwar nicht in jedem Fall, aber in der Regel ein steuerrechtlich nicht ausgleichbarer Schaden, weil ihm, infolge der Steuerprogression in dem Jahr, in dem sich sein Einkommen um den zurückgezahlten Betrag gemindert hat, zwar weniger Steuern abverlangt werden, aber diese Minderung der Steuerbelastung nicht den Mehrbetrag ausgleicht, den er im Jahre der Einnahme des zuviel bezahlten Versorgungsbezugs in Bezug auf diesen Betrag an Steuern zu zahlen hatte (vgl. BVerwGE 24, 92 [105]; 25, 97 [103]); im vorliegenden Fall beträgt die Differenz, die von den Finanzbehörden nicht erstattet wird, nach dem Vortrag der Beschwerdeführer über 2.700,00 DM. Die Prozedur des Ausgleichs zuviel gezahlter Steuern ist langwierig und kann schon in der Auseinandersetzung mit der Steuerverwaltung erheblich länger als ein Jahr dauern; daran kann sich ein jahrelang währender Steuerstreit vor den Finanzgerichten anschließen. Danach erst kann sich der Beamte an seinen Dienstherrn wenden, um zu versuchen, den Ausgleich seines Schadens zu erhalten, der ihm steuerrechtlich erwachsen ist. Nach § 29 III HbgBesG ist er dabei einer Ermessensentscheidung der zuständigen Stelle ausgeliefert. Ob davon unabhängig ein im Bereicherungsrecht wurzelnder Rechtsanspruch besteht, ist nicht ganz unzweifelhaft, er ist deshalb wahrscheinlich nur in einem weiteren Rechtsstreit durchzusetzen. Im vorliegenden Fall kommt noch hinzu, dass die Bf. den beschriebenen Weg erst beschreiten kann, wenn der Gesetzgeber die nach II notwendig gewordene verfassungsgemäße Neuregelung getroffen hat. Das bedeutet zugleich, dass die öffentliche Hand viele Monate lang dem Bürger Geld, das ihm zusteht, zinslos vorenthält und mit ihm arbeitet.

So mag man unter einseitiger Bedachtnahme auf die eigenen Interessen mit einem Außenstehenden verfahren können. Soviel Risiko einseitig dem Beamten, mit dem ein Pflicht- und Treueverhältnis auf Lebenszeit besteht, aufzulasten, ist aber unvereinbar mit der verfassungsrechtlichen Pflicht des Dienstherrn zur Fürsorge für seinen Beamten (Art. 33 V GG). Innerhalb eines solchen Verhältnisses geht es nicht an, dass die öffentliche Hand es sich durch die Rückforderung zuviel gezahlter Beträge nach Grundsätzen der verschärften bereicherungsrechtlichen Haftung leicht macht, während sie es dem Beamten besonders schwer macht, indem sie es ihm überlässt, die mit der Rückforderung von Bruttobezügen verbundenen Nachteile und Risiken abzuwenden.

b) Ob es zutrifft oder unrichtig ist, dass der Dienstherr, der die Lohnsteuer des Beamten unmittelbar an das Finanzamt abführt, nicht auch zuviel gezahlte Lohnsteuer zurückfordern kann, falls er vom Beamten nur die Rückzahlung des zuviel gezahlten Nettobetrages fordert, und ob es zutrifft oder unrichtig ist, dass einer solchen Praxis Kompetenzgrenzen verfassungsrechtlichen Rangs im Wege stehen, kann unentschieden bleiben. Denn auf keinen Fall ist es denkbar, dass es mit einer Vorschrift des Grundgesetzes unvereinbar sein könnte, wenn sich der Dienstherr darauf beschränkt, nur den Nettobetrag der zuviel bezahlten Versorgungsbezüge zurückzufordern. Es kann dem Gesetzgeber überlassen bleiben, wenn er meint, er müsse aus der verfassungsrechtlich geforderten Erkenntnis, dass nur der Nettobetrag zurückgefordert werden darf, Konsequenzen ziehen. Sie können nicht darauf hinauslaufen, die Rechtsposition des Beamten zu verschlechtern, sondern allenfalls "lnterna" der öffentlichen Hand zu regeln.

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