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Disziplinarrecht: Alkoholabhängigkeit und Disziplinarrecht


Weshalb zitiert ein Anwalt in Hamburg in disziplinarrechtlichen Fragen das VG Sigmaringen?
Nun, der nachstehende Auszug aus einer Entscheidung, mit welcher ein Beamter aus dem Beamtenverhältnis entfernt wurde, macht deutlich, dass der alkoholabhängige Beamte in der Praxis der Disziplinargerichte nicht unendlich auf Verständnis hoffen kann.
Unter bestimmten Voraussetzungen nimmt man an, dass der Rückfall in die nasse Phase verschuldet war.
Über diese Frage muss ein Anwalt mit dem Gericht und dem Dienstherrn unter Umständen heftig streiten. Jedenfalls dürfen sich nicht sog. Alltagstheorien Bahn brechen. In Einzelfällen hat das Verwaltungsgericht Hamburg für die Beantwortung dieser Frage Gutachter herangezogen. Das erscheint uns angesichts der Bedeutung dieser Verfahren für die Betroffenen durchaus angemessen.
Hinter dem Urteil des VG Sigmaringen steht eine bestimmte Sichtweise - insbesondere eine trockene Phase von mehr als sechs Monaten erscheint dem Gericht sehr bedeutsam -, die den Umständen des Einzelfalles vielleicht nicht völlig gerecht wird.
Zu diesen Fragen gibt es übrigens sehr beachtliche Rechtsprechung der Arbeitsgerichte einschließlich des BAG.

aus einem Urteil des VG Sigmaringen Urteil vom 07.04.10 - DB 10 K 2765/09 -

(Das Gericht entfernt den Beamten aus dem Dienst.)

Durch den festgestellten Rückfall in die nasse Phase seiner Alkoholerkrankung hat der Beamte gegen die ihm obliegende Pflicht nach § 61 Abs. 1 Satz 1 BBG verstoßen. Aus dem in dieser Vorschrift enthaltenen Gebot, sich mit vollem persönlichen Einsatz seinem Beruf zu widmen, folgt nicht nur die Verpflichtung des Beamten, seine Arbeitsfähigkeit zu erhalten, sondern auch die Pflicht, Einschränkungen oder den Verlust der Einsatzfähigkeit im Rahmen des Zumutbaren best- und schnellstmöglichst zu beseitigen (vgl. BVerwG, Urteil vom 10.01.1984 - 1 D 13.83, BVerwGE 76, 128). Wird der Beamte diesen Anforderungen nicht gerecht, so begeht er eine dienstliche Verfehlung, die schon deshalb an die Grundlagen des Beamtenverhältnisses rührt, weil eine der ohne weiteres erkennbaren Kernpflichten verletzt wird (vgl. VGH Bad.-Württ., Urteil vom 22.11.1999 - D 17 S 9/99 -, Juris).

Das festgestellte, nicht gerechtfertigte Verhalten des Beamten war auch schuldhaft. Nach seinem Geständnis in der mündlichen Verhandlung, den Ausführungen der Oberärztin S., der Diplomsozialpädagogin und Bereichsleiterin S., des Suchtkrankentherapeuten E. und des Chefarztes Dr. K. im Entlassungsbericht der Fachklinik W. vom 04.12.06 und nach der Bewertung in der gutachtlichen Stellungnahme des Facharztes für Innere Medizin und Betriebsmedizin Dr. R., ist das Gericht davon überzeugt, dass der vielfach vorgewarnte Beamte bedingt vorsätzlich handelte, also bei seinem Rückfall den erneuten Eintritt seiner bahnbetrieblichen Untauglichkeit billigend in Kauf nahm. Insofern waren neben der Vorgeschichte die vielzähligen Verwarnungen und Hilfsangebote, die Drohungen der Dienststelle mit disziplinaren Folgen weiteren Alkoholmissbrauchs, die Bestrafungen und die vorausgegangene Disziplinarmaßnahme zu berücksichtigen. All dies war dem Beamten bekannt und bewusst, als er im April 2007 den Alkoholkonsum wieder aufnahm. Er musste davon ausgehen, dass sein erneuter Alkoholkonsum und die damit verbundene Fortsetzung der nassen Phase seiner Alkoholerkrankung zu seiner bahnbetriebsdienstlichen Untauglichkeit führen würde.

Anhaltspunkte für eine fehlende Schuldfähigkeit vermochte das Gericht nicht festzustellen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts begründet die Alkoholabhängigkeit allein keine Verminderung der Schuldfähigkeit oder gar eine Schuldunfähigkeit. Solche Wirkungen kommen nur dann in Betracht, wenn die Erkrankung zu schwersten Entzugserscheinungen geführt oder wenn der Betroffene im Zustand eines akuten Rausches gehandelt hat. Diese Voraussetzungen für eine Verminderung der Schuldfähigkeit lagen hier nach der Überzeugung des Gerichts zum Zeitpunkt des Rückfalls Anfang April 2007 ersichtlich nicht vor. Der Internist B., der den Beamten seit Jahren behandelt, hat bei ihm nach seiner Auskunft an den Berichterstatter vom 22.1.10 keinerlei Anhaltspunkte für eine Einschränkung der Steuerungs- oder Einsichtsfähigkeit erkennen können. Der Entlassungsbericht vom 04.12.06 stellt insofern ebenfalls fest, dass die seit mindestens 10 Jahren bestehende Alkoholabhängigkeit keine ernsthaften psychischen Folgeerkrankungen bewirkt habe und dass es im Hinblick auf die Dienstfähigkeit des Beamten zum Zeitpunkt der Entlassung weder psychische noch körperliche Einschränkungen gebe. Danach und nach der sachverständigen Äußerung von Dr. R. vom 12.09.07 lagen beim Beamten Anfang April 2007 keine die Schuldfähigkeit beeinträchtigenden Störungen vor. Hinzu kommt, dass der Beamte die Entwöhnungsbehandlung am 26.09.06 entgiftet antreten musste und dass er nach eigenen glaubhaften Angaben nach der Behandlung bis Anfang April 2007 keinen Alkohol zu sich genommen hat. Damit war der Beamte zum Zeitpunkt des Rückfalls etwas mehr als ein halbes Jahr trocken, was eine alkoholbedingte Beeinträchtigung zum Tatzeitpunkt ausschließt.

Die als Grund für den Rückfall vom Beamten angeführten ehelichen und dienstlichen Probleme geben ebenfalls keinen Anlass zu Zweifeln an der Schuldfähigkeit des Beamten. Die von ihm dargestellte, eher alltägliche, auslösende Situation ist zur Begründung einer psychischen Zwangslage nicht geeignet. Dies gilt auch dann, wenn dem Beamten geglaubt wird, dass sich die im Juli/August 2009 festgestellte Brustkrebserkrankung seiner Ehefrau bereits im April 2007 in der dargestellten Weise abgezeichnet hat.
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