Rechtswidrigkeit von Beurteilungsrichtlinien, wenn die Gesamtnote falsch gebildet ist
Ausgangspunkt: Es fehlt an der erforderlichen gesetzlichen Grundlage für die Beurteilungsrichtlinien
In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zeichnete sich bereits seit längerer Zeit die Tendenz ab, an Beurteilungsrichtlinien zu bemängeln, dass sie in aller Regel nicht vom Gesetzgeber verantwortet werden oder zumindest relativ konkrete gesetzliche Regelungen als Grundlage haben.Mit Urteil vom 07.07.21 hat das Bundesverwaltungsgericht diese Auffassung ausdrücklich bestätigt.
Bitte prüfen Sie aber, ob die Problematik für den Bereich Ihres Dienstherrn relevant ist. Denn es gibt unterschiedliche Rechtsstandards. Der Bund und das Land Bayern dürften der Entwicklung voraus sein, so weit es um diesen Aspekt geht.
Fur das Land NRW sind die Dinge nach Auffassung des VG Düsseldorf in Ordnung:
Verwaltungsgericht Düsseldorf, Beschluss vom 03.11.21 - 26 L 1665/21 -
19 Die dienstlichen Beurteilungen ihrerseits sind ebenfalls nicht zu beanstanden. Sie sind in Übereinstimmung mit den zum 1. Januar 2019 in Kraft getretenen Richtlinien, die sich die Antragsgegnerin gegeben hat (Beurteilungsrichtlinien – BRL), zustande gekommen. Die BRL wiederum beachten die grundlegenden Vorgaben für die Erstellung dienstlicher Beurteilungen in § 92 Abs. 1 LBG NRW in Verbindung mit § 8 LVO NRW.20 Damit wird der vom BVerwG postulierte Gesetzesvorbehalt für die Erstellung dienstlicher Beurteilungen beachtet, in dessen Rahmen die Exekutivgewalt des Dienstherrn im Bereich seiner Organisations- und Geschäftsgewalt als Befugnis zum Erlass von ergänzenden Verwaltungsvorschriften ausreicht, Urteil vom 17.09.20 – 2 C 2.20 –, Rn. 16. Die höchstrichterlichen Vorgaben werden durch das Urteil vom 07.07.21 – 2 C 2.21 – bekräftigt.
Sie können sich in Ihrem Bundesland - je nach Gesetzeslage - unter Umständen darauf berufen, dass es an einer gesetzlichen Regelung fehlt.
Zum Problem der Fortgeltung rechtswidriger Beurteilungsrichtlinien
Allerdings arbeiten die Gesetzgeber an dieser Problematik und außerdem geht die gerichtliche Praxis (insoweit angeführt vom Bundesverwaltungsgericht) davon aus, dass für eine Übergangszeit auch noch rechtswidrige Beurteilungsrichtlinien angewandt werden dürfen. Um diesen Punkt gibt es bisweilen Streit.Wir möchten hierzu auf den Aufsatz „Das Bundesverwaltungsgericht als Verfassungsorgan? Fortgeltungsanordnungen der Verwaltungsgerichtsbarkeit trotz erkannter Verfassungswidrigkeit im Lichte der Rechtsprechung des BVerfG“ von Prof. Dr. Gert Armin Neuhäuser hinweisen, den Sie in NVwZ 2023, 634 ff. finden.
Der Aufsatz endet mit der Feststellung, das Bundesverwaltungsgericht verstoße mit seinem Dekret zur Fortgeltung von Beurteilungsrichtlinien gegen Art. 100 und 93 GG sowie gegen Art. 20 II und III GG und letztlich auch gegen Art. 19 IV GG.
Die Gedankenführung ist konsequent und überzeugend. Das Ergebnis, dass das Bundesverwaltungsgericht und die ihm folgenden Gerichte die Justizgewährleistungspflicht verletzen, erscheint richtig. Folgt man dieser Auffassung, so bedeutet dies, dass die vorliegenden dienstlichen Beurteilungen in vielen Fällen keine rechtmäßige Grundlage für die Beförderungsauswahl darstellen.
Eine interessante Darstellung dieses Problems finden Sie in einem Beschluss des OVG Berlin-Brandenburg vom 22.12.22 - 4 S 33/22 -. In jenem Verfahren hatten anscheinend schlaue Anwälte dem Gericht viele gute Argumente vorgetragen, mit denen sie allerdings kein Gehör fanden. Die Ausführungen in der Entscheidung sind für Insider sehr interessant.
Angesichts des Beschlusses des Bundesverwaltungsgerichts vom 26.01.23 - 1 WB 41.21 - wird man möglicherweise davon ausgehen können, dass die Übergangsfrist auf jeden Fall am 31.12.23 endet.
Viele Beurteilungsrichtlinien sind zudem rechtswidrig, weil sie die Bildung der Endnote fehlerhaft regeln.
Zunehmend tritt ein weiterer Aspekt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 07.07.21 in den Vordergrund, nämlich die am Ende jener Entscheidung vertretene Auffassung, dass sämtliche Eignungs- und Befähigungskriterien in das Gesamturteil der Beurteilung einfließen müssen.Sehen die Beurteilungsrichtlinien dies nicht vor, dann folgen daraus gerichtliche Entscheidungen, welche die Beurteilungen als rechswidrig bezeichnen, wie zum Beispiel dieser Beschluss:
Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 07.12.21 - 1 M 90/21 -
Leitsatz1. ...
2. Sind die einer Beförderungsauswahlentscheidung zugrunde gelegten und gemäß den einschlägigen Beurteilungsvorschriften erstellten dienstlichen Beurteilungen rechtswidrig, weil sie nicht mit einem sämtliche Einzelbewertungen zusammenfassenden Gesamturteil abschließen, ist generell davon auszugehen, dass die Aussichten des unterlegenen Bewerbers, beim zweiten Mal ausgewählt zu werden, offen sind, also seine Auswahl möglich erscheint.
3. Sind sämtliche Beurteilungen rechtswidrig und genügen überdies die ihnen zugrunde gelegten Beurteilungsrichtlinien den Anforderungen des Art. 33 Abs. 2 GG nicht hinlänglich, bestehen keine konkreten, d. h. greifbaren Anhaltpunkte dafür, auf welcher inhaltlichen (tatsächlichen wie rechtlichen) Grundlage für die beteiligten Beamten neue Regelbeurteilungen erstellt werden, die der erneut zu treffenden Auswahlentscheidung zugrunde gelegt werden sollen.
Vergleichen Sie hierzu auch Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt, Urteil vom 24.11.21 - 1 L 57/21 -
ECLI: ECLI:DE:OVGST:2021:1124.1L57.21.00
Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 08.12.21 - 4 S 27/21 -
Leitsatz1. Die Beurteilungsrichtlinie – BeurtVV – des brandenburgischen Ministeriums des Innern und für Kommunales vom 16.11.10, zuletzt geändert am 28.01.19, ist angesichts der jüngsten Rechtsprechungsänderung des Bundesverwaltungsgerichts mit Urteil vom 07.07.21 – 2 C 2.21 – als rechtswidrig anzusehen.
2. Die Beurteilungsrichtlinie darf geändert werden, auch wenn die vom Bundesverwaltungsgericht neuerdings geforderte Überarbeitung der gesetzlichen Bestimmungen zum Beurteilungswesen noch aussteht.
Verfahrensgang
vorgehend VG Potsdam, 19.07.21, VG 2 L 419/21, Beschluss
Tenor
Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Potsdam vom 19.07.21 geändert. Es wird dem Antragsgegner im Wege einstweiliger Anordnung untersagt, bis zum Ablauf von 14 Tagen nach Zustellung des Widerspruchsbescheids an die Antragstellerin mit der Entscheidung über deren Widerspruch vom 17. Mai 2021 die Beigeladene zur Justizoberinspektorin aufgrund der Ausschreibung einer solchen Stelle am Amtsgericht Potsdam (JMBl. vom 16.11.20) zu befördern.
Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst trägt.
Gründe
Randnummer 1
Die Beschwerde hat Erfolg. Die von der Antragstellerin dargelegten Gründe, auf deren Prüfung das Oberverwaltungsgericht nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO auch in einem Konkurrentenstreit beschränkt ist (BVerfG, Beschluss vom 4.07.18 – 2 BvR 1207/18 – juris Rn. 18), rechtfertigen die Änderung des angefochtenen Beschlusses, weil das vom Verwaltungsgericht gefundene Ergebnis auch nicht aus anderen Gründen zutrifft (vgl. dazu den Beschluss des Senats vom 20.06.17 – OVG 4 S 17.17 – juris Rn. 2 ff.). Die Beförderung der Beigeladenen zur Justizoberinspektorin ist einstweilig zu untersagen.
Randnummer 2
A.I. Die Antragstellerin beanstandet unter Hinweis auf die Pressemitteilung des Bundesverwaltungsgerichts zu dessen Urteil vom 07.07.21 – 2 C 2.21 –, dass in den dienstlichen Beurteilungen der Konkurrentinnen die zu beurteilende Eignung und Befähigung nicht in die Gesamtnote eingeflossen sei. Sie hat damit, was die Befähigung betrifft, Erfolg.
Randnummer 3
a) Das Bundesverwaltungsgericht hat es in seinem Urteil vom 07.07.21 – 2 C 2.21 – für verfassungsrechtlich geboten gehalten, dass in das zu bildende Gesamturteil einer dienstlichen Beurteilung sämtliche vom Dienstherrn bewerteten Einzelmerkmale der drei Kriterien des Art. 33 Abs. 2 GG einfließen müssten, also Eignung, Befähigung und fachliche Leistung (juris Rn. 41). Es gibt ausdrücklich (siehe juris Rn. 44) seine erst im Urteil vom 19.03.15 – 2 C 12.14 – verlautbarte Rechtsauffassung auf, dass sich Befähigungsmerkmale einer generellen und bezugsunabhängigen Gesamtbewertung oder gar Notenvergabe entzögen (siehe dort juris Rn. 44). Das Bundesverwaltungsgericht hat diese Rechtsprechungsänderung in seinem Urteil vom 09.09.21 – 2 A 3.20 – bekräftigt (juris Rn. 46) und zugleich entschieden, dass daneben eine zusammenfassende Bewertung der Befähigung als solcher nicht geboten sei (juris Rn. 44 f.).
Randnummer 4
Der Antragsgegner hat in getreulicher Beachtung des Urteils vom 19.03.15 die damalige Rechtsprechungsänderung in die Beurteilungsrichtlinie – BeurtVV – vom 16.11.10 (ABl. S. 2065; mit nachfolgenden Änderungen) eingearbeitet (Verwaltungsvorschrift vom 28.01.19; ABl. S. 211).
Nunmehr heißt es in Nr. 5.3 BeurtVV: „Das Gesamturteil ist aus den Einzelbewertungen der Leistungsmerkmale und dem Gesamtbild der Leistung in Bezug auf das innegehabte Statusamt zu bilden …“.
Nr. 5.4 BeurtVV lautet: „Mit der Befähigungsbeurteilung werden die für die dienstliche Verwendung wesentlichen allgemeinen Fähigkeiten, Kenntnisse, Fertigkeiten und sonstigen Eigenschaften … bewertet … Die Befähigungsbeurteilung ist gegebenenfalls im Rahmen der Eignungsbewertung durch die auswählende Stelle heranzuziehen.“
Demgemäß sieht das Formular in geänderter Reihenfolge unter I. Allgemeine Angaben, II. Leistungsbeurteilung, III. Gesamturteil und Begründung (Das Gesamturteil ist aus den Einzelbewertungen der Leistungsmerkmale und dem Gesamtbild der Leistung zu bilden), IV. Befähigungsbeurteilung, VI. Hinweise und Anmerkungen und schließlich unter VII. die Eröffnung vor.
Randnummer 5
Die der Antragstellerin und der Beigeladenen erteilten dienstlichen Beurteilungen folgen diesen Vorgaben. Die Befähigungsbeurteilung wurde weder zusammenfassend als solche benotet noch zum Gegenstand des Gesamturteils gemacht.
Randnummer 6
b) Der Senat schließt sich der Rechtsauffassung des Bundesverwaltungsgerichts an, dass Eignung, Befähigung und fachliche Leistung in das zu bildende Gesamturteil einfließen müssen. Denn das Grundgesetz sieht den Instanzenzug vor (Art. 95 Abs. 1 GG) und betraut die Richterinnen und Richter des Revisionsgerichts mit der Aufgabe, durch Vereinheitlichung (vgl. Art. 95 Abs. 3 GG) – nach § 127 Nr. 2 BRRG auch im Bereich des Landesbeamtenrechts – eine verlässliche und vorhersehbare Rechtsprechung auszuüben, an der sich die Verwaltungen in ganz Deutschland mit ihrem Handeln ausrichten und die betroffenen Bürgerinnen und Bürger orientieren können.
Randnummer 7
Der Senat sieht keine hinreichenden Gründe für eine vom Bundesverwaltungsgericht abweichende Auffassung, hält es vielmehr für richtig, dass das Revisionsgericht seine Rechtsprechungsänderung des Jahres 2015 zurücknimmt, weil sie bereits damals angesichts der Entwicklung der Dogmatik im Dienstrecht mehr Probleme bereitete als löste. Das hat sich bis heute nicht verändert.
Randnummer 8
In der früheren Rechtsprechung wurde für rechtens gehalten, auf der Grundlage der in erster Linie heranzuziehenden aktuellen dienstlichen Beurteilungen zu ermitteln, wer das Anforderungsprofil am besten erfüllte; verlangt wurde für die Eignungsprognose, die Leistungen der Bewerber in ihrer Gesamtheit zugrunde zu legen und im Hinblick auf das konkrete Anforderungsprofil der zu besetzenden Stelle zu würdigen (...). Der Schwerpunkt der Bestenauslese schlug sich demgemäß im Auswahlvermerk nieder, in welchem die Fülle der Informationen aus den dienstlichen Beurteilungen der Kandidaten und weitere Informationen über sie zu einer Bewerberreihung verarbeitet werden mussten. Die dienstlichen Beurteilungen waren nicht mehr als das wenn auch bedeutendste Hilfsmittel.
Randnummer 9
Das Bundesverfassungsgericht hat jedoch inzwischen zu Art. 33 Abs. 2 GG entschieden, dass die Gesamtaussage der dienstlichen Beurteilungen nicht ohne Weiteres durch einen Rückgriff auf Einzelfeststellungen überspielt werden dürfe, wenn der Gesamtvergleich ergebe, dass keine wesentlich gleichen Beurteilungen vorlägen; bei nicht wesentlich gleichen Beurteilungen sei der unmittelbare Vergleich einzelner Feststellungen vielmehr nur bei Vorliegen zwingender Gründe zulässig (BVerfG, Beschlüsse vom 04.10.12 – 2 BvR 1120/12 – Rn. 14 und vom 16.12.15 – 2 BvR 1958/13 – juris Rn. 60; anders noch für die Dienstpostenkonkurrenz nach den Regeln der Bestenauslese: BVerwG, Beschluss vom 27.09.11 – 2 VR 3.11 – juris Rn. 30).
Das Bundesverfassungsgericht entschied zugleich, dass maßgeblich in erster Linie das abschließende Gesamturteil sei, welches anhand einer Würdigung, Gewichtung und Abwägung der einzelnen leistungsbezogenen Gesichtspunkte gebildet werde (BVerfG, Beschlüsse vom 04.10.12 – 2 BvR 1120/12 – juris Rn. 12 und vom 16.12.15 – 2 BvR 1958/13 – juris Rn. 58; so auch BVerwG, Beschluss vom 22.11.12 – 2 VR 5.12 – Rn. 25). Dabei darf diese gleichermaßen in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und Bundesverwaltungsgerichts verwendete Formel von den leistungsbezogenen Gesichtspunkten nicht als Beschränkung auf die fachliche Leistung missverstanden werden (a.A. VG Potsdam, Beschluss vom 08.07.21 – 2 L 266/21 – juris Rn. 26 bis 28 und im hier angegriffenen Beschluss).
Vielmehr wird die Trias aus Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung unter dem Oberbegriff „Leistungsprinzip“ bzw. „Leistungsgrundsatz“, mithin als Leistung in einem weiten Sinn zusammengefasst (vgl. z.B. BVerwG, Urteil vom 23.03.21 – 2 C 17.19 – Rn. 18 f.; OVG Lüneburg, Beschluss vom 29.11.21 – 5 ME 132/21 – Rn. 18 f.). Die Verfassungsrechtsprechung hat zur Folge, dass regelmäßig die dienstlichen Beurteilungen für den Erfolg in einer Beförderungskonkurrenz entscheidend sind und sich der Auswahlvermerk jedenfalls dann, wenn ein Bewerber ein besseres Gesamturteil aufweist, in der Feststellung dieses Vorsprungs erschöpft.
Randnummer 10
Eingedenk der Verfassungsnorm, jedem Deutschen nach seiner Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amte zu geben (Art. 33 Abs. 2 GG), aus der die Pflicht folgt, diese drei Kriterien der Bestenauslese zugrunde zu legen (BVerfG, Beschluss vom 16.12.15 – 2 BvR 1958/13 – Rn. 31), musste es folglich Probleme bereiten, wenn die Befähigung nicht im Gesamturteil aufgeht und gleichwohl die Bestenauslese mitbestimmt. Da es gemäß Art. 33 Abs. 2 GG wie auch nach Einschätzung des brandenburgischen Gesetzgebers (siehe § 19 Satz 1 LBG) möglich ist, Eignung, Befähigung und fachliche Leistung der Beamten zu beurteilen, was in der Gesamtschau des Bewerberfelds vielfach zu einem Beurteilungsvorsprung eines Kandidaten führt, wäre begründungsbedürftig, warum für die Befähigung ein abschließendes Urteil nicht zu fällen sei. Die bedenkenswerten Einwände im Schrifttum (vgl. Bodanowitz in: Schnellenbach/Bodanowitz, Beamtenrecht in der Praxis, 10. Aufl. 2020, § 11 Rn. 17 m.w.N.) werden relativiert durch die Vorgaben aus der jüngeren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, nach der die Bestenauslese im Ausgangspunkt nur an Statusämtern in der Reihung der jeweiligen Laufbahn orientiert ist und deswegen typischerweise die Anforderungen im Vergleich des niederen mit dem höheren Amt als gleichartig erscheinen. Nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts wird ein Beamter aufgrund seiner Befähigung für eine bestimmte Laufbahn regelmäßig als geeignet angesehen, jedenfalls diejenigen Dienstposten auszufüllen, die seinem Statusamt entsprechen oder dem nächsthöheren Statusamt zugeordnet sind; es könne grundsätzlich erwartet werden, dass der Beamte imstande sei, sich in die Aufgaben dieser Dienstposten einzuarbeiten (Beschluss vom 20.06.13 – 2 VR 1.13 – juris Rn. 28). Damit ließe sich die für eine Laufbahn oder enger für zwei Statusämter relevante Befähigung zusammenfassend bewerten und in ihrer Bedeutung neben Eignung und fachlicher Leistung in das Gesamturteil einbringen.
Randnummer 11
c) Die Antragstellerin vermisst hingegen zu Unrecht das Kriterium der Eignung bei der Bildung der Gesamtnote. Wie das Bundesverwaltungsgericht im Urteil vom 09.09.21 – 2 A 3.20 – klargestellt hat, ist losgelöst von den gewählten Bezeichnungen in der Beurteilungsrichtlinie oder im Formular einer dienstlichen Beurteilung das Kriterium der Eignung auch ohne ausdrückliche Nennung in einer Mehrzahl von Prüfpunkten erfasst und fließt durch sie in die Bildung des Gesamturteils ein (vgl. juris Rn. 48 f.). Es sei unschädlich, wenn in der Beurteilungsrichtlinie eine Beurteilung der Leistung und Befähigung sowie eine Gesamtnotenbildung aus Leistung und Befähigung vorgesehen werde; die Eignung werde erkennbar in der Richtlinie thematisiert (so in der vom Bundesverwaltungsgericht im Urteil vom 09.09.21 überprüften Richtlinie, siehe juris Rn. 45, und nicht anders in der hier maßgeblichen Verwaltungsvorschrift, siehe Nr. 1 Abs. 1 und 2, Nr. 5.4 Satz 3 BeurtVV).
Randnummer 12
d) Der Antragsgegner wird nicht umhinkommen, seine Beurteilungsrichtlinie ein weiteres Mal zu überarbeiten. Es wird auch zu Verzögerungen in der Besetzung von Stellen und in der Beförderung von Beamtinnen und Beamten kommen, weil die erneute Rechtsprechungsänderung nicht für eine Übergangszeit unbeachtet bleiben kann (siehe BVerwG, Urteil vom 07.07.21 – 2 C 2.21 – juris Rn. 41: die Beurteilung „ist rechtswidrig“).
Randnummer 13
Die für den Erlass von Beurteilungsrichtlinien zuständige Stelle darf eine Änderung der Verwaltungsvorschriften vornehmen, auch wenn die vom Bundesverwaltungsgericht ebenfalls für notwendig gehaltene Überarbeitung von § 19 LBG (siehe dessen zum Leitsatz erhobenes obiter dictum im Beschluss vom 21.12.20 – 2 B 63.20 – juris Rn. 23) noch auf sich warten ließe. Denn auch nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts genügt für eine Übergangszeit die Bestimmung im Landesbeamtengesetz samt den Beurteilungsrichtlinien als Grundlage zur Erstellung dienstlicher Beurteilungen (BVerwG, Urteil vom 07.07.21 – 2 C 2.21 – juris Rn. 40). Tragender Gedanke des Bundesverwaltungsgerichts für die Einräumung einer Übergangszeit zur Verarbeitung seiner neuen Rechtsauffassung durch die Gesetzgeber ist die zutreffende Erwägung, dass die für die Funktionsfähigkeit der öffentlichen Verwaltung wichtigen Auswahlentscheidungen nicht auf geraume Zeit unterbleiben können (a.a.O. Rn. 40). Wenn das Bundesverwaltungsgericht mit einer Formulierung an derselben Stelle zu erkennen gibt, dass anscheinend nur die bereits „erlassenen Verwaltungsvorschriften“ weitergelten sollten und womöglich deren Änderungen ausgeschlossen seien, hat es nicht bedacht, dass durch die zweite Rechtsprechungsänderung in seinem Urteil alle Beurteilungsrichtlinien, welche die Vorgaben des Urteils vom 19.03.15 – 2 C 12.14 – unzweifelhaft inkorporiert haben, über Nacht rechtswidrig geworden sind und nur noch zur Erstellung rechtswidriger dienstlicher Beurteilungen führen könnten. Den dadurch bewirkten Stillstand in der Nachbesetzung freier Stellen gilt es zu vermeiden. Die staatlichen Handlungsformen des Gesetzes, der Verordnung und der Verwaltungsvorschrift unterscheiden sich in ihrer Flexibilität. Eine Verwaltungsvorschrift lässt sich schneller als ein Gesetz ändern. Das ist dem Land Brandenburg in der nach Länge unbestimmten Übergangszeit bis zu einer für notwendig erachteten Gesetzesänderung nicht verwehrt.
Randnummer 14
II. Die Antragstellerin meint außerdem, das Verwaltungsgericht habe sich nicht mit ihrem Einwand auseinandergesetzt, dass die Begründung des Gesamturteils – abgesehen davon, dass es nicht aus allen drei Kriterien des Art. 33 Abs. 2 GG hergeleitet werde – den Anforderungen des Urteils des Bundesverwaltungsgerichts vom 17.09.15 – 2 C 13.14 – nicht genüge. Darauf ist kurz zu erwidern, dass das Bundesverwaltungsgericht im Urteil vom 09.05.19 – 2 C 1.18 – (juris Rn. 64 bis 66) seine eigenen Anforderungen wieder abgesenkt und eine Begründung des Gesamturteils unter Umständen sogar für entbehrlich gehalten hat. Es sei nicht mehr notwendig, in den Fällen mit unterschiedlicher Gewichtung der Einzelergebnisse das daraus resultierende Gesamturteil nachvollziehbar und plausibel zu begründen. Es reiche, wenn die Herleitung des Gesamtergebnisses „erkennbar“ werde (BVerwG, a.a.O. Rn. 65). Der Senat hat sich dieser Rechtsprechung bereits angeschlossen (beginnend mit dem Beschluss vom 22.04.20 – OVG 4 S 11/20 – juris Rn. 5).
Randnummer 15
III. Auch die mit dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 27.02.03 – 2 C 16.02 – begründete Auffassung der Antragstellerin, der Antragsgegner hätte, da sie und die Beigeladene richtigerweise als im Wesentlichen gleich beurteilt anzusehen seien, als nächstes die älteren dienstlichen Beurteilungen auswerten müssen, trifft nach der jüngeren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht mehr zu. Danach darf der Dienstherr, wenn mehrere Bewerber als im Wesentlichen gleich geeignet einzustufen sind, anhand der dienstlichen Beurteilungen auf einzelne Gesichtspunkte abstellen mit bindender Wirkung des Anforderungsprofils in der Stellenausschreibung (BVerwG, Beschluss vom 19.12.14 – 2 VR 1.14 – juris Rn. 36 f.; siehe auch BVerfG, Beschluss vom 09.08.16 – 2 BvR 1287/16 – juris Rn. 80).
Randnummer 16
B. Sind die dienstlichen Beurteilungen der Antragstellerin und der Beigeladenen zu beanstanden, weil in das gebildete Gesamturteil ihrer dienstlichen Beurteilungen nicht die Würdigung der Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung im Ganzen eingeflossen ist, hat der Senat unabhängig von den dargelegten Gründen zu überprüfen, ob der Antrag der Antragstellerin im Ergebnis zu Recht abgelehnt worden ist. Das lässt sich nicht feststellen. Es steht im Beurteilungsspielraum des Dienstherrn, wie er die gesamten Eindrücke von den Bewerberinnen an Art. 33 Abs. 2 GG gemessen zu jeweils einem Gesamturteil bündelt. Der von der Antragstellerin bestrittene und vom Antragsgegner beschriebene Unterschied zwischen ihr und der Beigeladenen, wie er in den jetzt vorliegenden rechtswidrigen Beurteilungen zum Ausdruck kommt, ist – auch wenn die einzelnen Beurteilungselemente von der Antragstellerin nicht angegriffen werden – nicht so eindeutig, dass die Beigeladene bei einer rechtmäßig erstellten Beurteilung eindeutig vorzuziehen wäre.
Randnummer 17
...
Die Entscheidung enthält über den angesprochenen Aspekt "Gesamturteil" hinaus weiteren beurteilungsrechtlichen Zündstoff. Sie wird wahrscheinlich nicht ohne Widerspruch bleiben. Die Diskussion wird vermutlich andauern.